Nicht nur Festivalgelände, sondern Festivaldorf: Das Haldern Pop Festival 2018

17. August 2018 | L'UniCo Musikredaktion | Keine Kommentare | Allgemein, L'UniCo on Tour

Das Haldern Pop Festival ist eine Institution. Seit stolzen 35 Jahren findet das kleine Festival am Niederrhein mittlerweile statt. Dauerbesucherin Laura war auch dieses Jahr dabei und erzählt uns, was das Haldern so besonders macht.

Tristan Brusch

Sprüche wie „Gehen, sehen, summen“ oder „Be true, not better“ auf Jutebeuteln oder T-Shirts lassen schon vermuten, dass auf diesem kleinen Festival mit ca. 7000 Besuchern ein etwas anderer Festival-Spirit als auf den Majorevents herrscht. Das Haldern Pop ist im 35. Jahr angekommen. Für mich ist es Jahr 7 in Folge. Mittlerweile beherbergt unser Festivallager jedes Jahr um die 15 Leute, die es sich mit einer Gaskochstation und Kühlschränken, die mit dem ein oder anderen feinen Tropfen gefüllt sind, gut gehen lassen. Das ist die Haldern-Familie, die sich hier einmal im Jahr trifft und von denen es hier einige gibt. Auf den Campingplätzen darf neben dem eigenen Auto gecampt werden, was die zugegeben etwas dekadente Festivalausstattung ermöglicht. Hier zeigt sich auch schon die besondere Vertrauensbeziehung zwischen Veranstalter und dem altersmäßig bunt gemischten Publikum. Es ist quasi alles erlaubt. Wer mag genießt den Rotwein aus dem eigenen Weinglas oder geht im See hinter dem Gelände baden. Im Gegenzug wird die Campingwiese so sauber, wie ich es von keinem anderen Festival kenne, verlassen. Sogar das Konfetti wird vom Boden gesammelt, damit die Kühe schnell wieder auf ihre Weide können. Auf dem Festivalgelände wird unter anderem mit Falafel, köstlichen Pommes und Weinstand für das leibliche Wohl gesorgt.

Lisa Hannigan in der voll besetzten Kirche

Um jetzt aber zum Musikalischen zu kommen: Das Line-Up ist mit „halbwegs geordnetem Chaos“ glaube ich ganz gut zu beschreiben. Hier trifft die Weltmusik von Seun Kuti auf psychedelischen Stoner-Rock von King Gizzard & the Lizard Wizard, der mich gepaart mit verstörenden 90’s-Winamp-Visuals im Hintergrund ehrlich gesagt ziemlich schnell in die Flucht schlägt. Das Haldern will nicht jedem und schon gar nicht immer gefallen. Es geht darum, echte Originale auf die Bühne zu bringen und den vielen Musikliebhabern Abwechslung und vielleicht auch mal eine Erweiterung des musikalischen Horizonts zu bieten. Eine Vielzahl der Acts lassen sich dann aber doch irgendwie der Folk/Alternative/Pop-Ecke zuordnen. Die Besetzung der Hauptbühne fällt für mich dieses Jahr eher unspektakulär aus. Als Headliner sind wohl am ehesten Philipp Poisel, Villagers und Kettcar zu bezeichnen. Musikalisch ist das irgendwie wenig abwechslungsreich und zu Headliner-Uhrzeit darf es doch auch mal etwas tanzbarer zugehen.

Da kommt es ganz gelegen, dass Haldern nicht nur „Mainstage“ ist. Die echten Geheimtipps finden sich, neben dem Spiegelzelt, eher im ca.  2 km entfernten Dorf. Dort werden Kirche, Haldern Pop Bar und das Jugendheim bespielt. Einziger Wermutstropfen ist für Langschläfer häufig die Uhrzeit, da der Großteil der Sets hier zwischen 11 und 15 Uhr stattfindet. Manchmal ist halt auch auf einem Festival etwas Überwindung notwendig. Gleich zu Beginn des Festivals steht Tristan Brusch, den vielleicht einige durch Kooperationen mit Maeckes oder Mine kennen, auf der winzigen Bühne der Pop Bar. Schon nach dem zweiten Song höre ich hinter mir ein „Geil…das hat sich gelohnt“ und die tobende „Menge“ stimmt zu. Von Tristan kommt „Hey hat hier mal jemand n Bier?“ – Klar, 3 m Luftlinie zur Theke.

Überraschungskonzert von den Towns Of Saint

Ein frisch gezapftes ist hier kein Problem. Sein Stil bewegt sich irgendwo zwischen deutschem Chanson, Schlager, Neuer deutscher Welle und Indie-Pop. Eine Mischung, die für den ein oder anderen vielleicht erstmal zum Weglaufen klingt. Vorgetragen mit einer gehörigen Portion Zynismus funktioniert das Ganze aber ziemlich fabelhaft und hebt sich angenehm aus dem momentanen Deutschpop-Einheitsbrei ab.

Am späteren Nachmittag stelle ich mich, wie gefühlt tausend weitere Menschen auch, für Lisa Hannigan mit dem Stargaze Orchestra und Jake Bugg an. Für mich zwei der größten Namen dieses Line-Ups. Wieso spielen die bloß in der Kirche? Stimmungsmäßig passt die Location wie die Faust aufs Auge, an meinem Platz in der letzten Reihe kommt aber leider nur Soundmatsch an, der die zarte Stimme der Irin regelrecht verschlingt und sich mit den Gesprächen von draußen vermischt. Schade, das hätte etwas ganz Besonderes werden können.

Marius Bear

Am Freitag probiere ich es noch einmal in der Kirche, denn die britische Newcomerin Jade Bird, von der BBC im „Sound of 2018“ gelistet, spielt hier ein Soloset. „I’m starting quite hyper and then I’m going a little calmer…“ –  darauf folgt ein Kate Bush Cover am Flügel und ihre beiden Singles, die noch einmal schön nach vorne gehen zum Schluss. So baut man seine Setlist zusammen und „rockt“ die Halderner Kirche mit einer guten  Mischung aus Country, Americana und Pop.

Für den Freitagabend stehen eigentlich die Villagers auf meinem Festivalprogramm. Als die sich aber eher tranceartig in ihr Set spielen und keine rechte Verbindung zum Publikum aufbauen können, entdecke ich eine Benachrichtigung auf meinem Handy. Town of Saints, die wie viele andere Künstler auch einfach mal als Besucher auf dem Haldern sind, spielen einen Überraschungsgig. Eingängiger, tanzbarer Indie-Folk. Irgendwie genau das, was ich jetzt brauche. Innerhalb von Sekunden befindet sich das „Niederrheinzelt“ neben der Hauptbühne, wo es sonst leckeren Kaffee gibt, in der Hand von Harmen Ridderbos und Heta Salkolahti, die heute als Duo mit Violine und Gitarre das Publikum mit Leichtigkeit um den Finger wickeln. Dieser kleine Secret Gig ist definitiv ein weiteres Highlight für mich.

Jonas David vor der Fleischtheke

Am Samstag habe ich mir tatsächlich einen Wecker gestellt. Es geht wieder ins Dorf um den 25-jährigen Schweizer Marius Bear um 11:40 Uhr in der Pop Bar nicht zu verpassen. Auf dem Weg gibt’s noch ein ordentliches Frühstücksbrötchen. Das frühe Anstehen hat sich gelohnt. Nicht jeder kommt in die Pop Bar. Vor den Fenstern steht noch eine lange Schlange mit Menschen, die von außen zuhören wollen. „Wir dachten wir fahren 8 Stunden aus der Schweiz für einen 30 Minuten Gig am Vormittag vor ca. 3 Leuten …ihr seid krass“. Das Publikum hier weiß halt, wann es sich lohnt, den inneren Schweinehund zu überwinden und wird belohnt. Schon nach Song 2 muss sich Bear entschuldigen „Sorry, ich wollte euch so früh eigentlich noch nicht zum Weinen bringen…“ Und ja, bereits die halbe Pop Bar wischt sich ein Tränchen aus dem Augenwinkel. Nach den ersten Pianoklängen des nächsten Stückes bemerkt er selbst, dass das wohl noch nicht alles war „Ach Mist…heult halt einfach weiter“. Seine Musik beschreibt er selbst als Raw Pop und mit Joe Cocker Reibeisenstimme beschert er der Pop Bar an diesem Vormittag einen emotionalen Abriss vom Feinsten. Neben gefühlvollen Balladen gibt es aber auch definitiv Temporeicheres, was vielleicht nicht ganz zum Tanzen aber definitiv zum gepflegten Mitwippen einlädt. Mein Highlight Nr. 3.

Bestes Festival-Wetter

Auf dem Rückweg zum Festivalgelände geht es noch einmal schnell zum Rewe und schon stolpert man mitten in eine Cardinal Session, die gerade vor der Fleischtheke gedreht wird. Die Damen hinter der Theke filmen begeistert mit, während der Gesichtsausdruck eines älteren Herren eher nach „Nicht einmal seine Wurst kann man mehr in Ruhe kaufen“ aussieht. Man kann es halt nicht jedem recht machen. Den Nachmittag genieße ich doch tatsächlich einmal vor der Mainstage. Hier verbreiten die Countrysängerin Jenny Lewis und darauf die Lemontwigs, die sich ziemlich ungeniert an Beatles-, Queen- und Beachboys-Sounds bedienen, bei sonnigem Wetter gute Laune. Am Abend verzichte ich auf Kettcar und bastele mir stattdessen mit meiner Haldern-Familie einen eigenen Samstagabend-Soundtrack aus vergangenen Line-Ups zusammen. Ab und zu kommt ein Nachbar vorbei um zu hören „woher denn die gute Musik kommt“ und bleibt auf ein kühles Bier.

Auch wenn das Programm der Mainstage dieses Jahr nicht ganz meinen Geschmack getroffen hat, zeigen die kleineren Gigs die wahre Größe des Festivals. Das Dorf Haldern kann ich inzwischen wohl als meine Festivalwahlheimat bezeichnen. Neben meinem doch eher auf Folk, Pop und Country zugeschnittenen Programm gab es auch einiges aus Richtung Hip-Hop, Punk oder Jazz zu hören. Ein Besuch lohnt sich also für alle neugierigen Musikliebhaber, die nicht die ganze Breite des aktuellen Chartgeschehens im Line-Up erwarten und Lust darauf haben, sich auch einmal von Ungewohntem begeistern zu lassen.

Haldern Pop – Bis zum nächsten Jahr!

 

Text & Fotos: Laura Schiller

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