Tash Sultana ist eine dieser Künstlerinnen, die scheinbar alles kann. Alle Instrumente, alle Genres, jede Stimmung. Das Gefühl hat man zumindest bei jeder ihrer Jam-Session. Nun kommt ihre Debut-LP auf den Markt. Ob die auch auf ganzer Linie überzeugen kann, erzählt euch Simon.
Zwei Jahre nachdem Tash Sultana, die Loop-Künstlerin aus Melbourne, ihre EP „Notion“ veröffentlichte, ist nun mit „Flow State“ (erschienen am 31. August.2018) endlich ein komplettes, in sich geschlossenes Debut-Album da. Die 23-jährige Multiinstrumentalistin ist längst keine Unbekannte mehr, tourte mit ihrer Musik bereits einmal um die halbe Welt und war auf zahlreichen namhaften Festivals vertreten. Seit 2013 baute sich die junge Künstlerin langsam, aber sicher eine solide Fanbase auf, sei es durch Gigs in Clubs und Bars oder Live-Sessions, die sie in ihrem Schlafzimmer mit einer GoPro filmte. Ausschlaggebend für die Erkenntnis, dass Musik ihre Bestimmung ist, waren für sie vor allem zwei Dinge: die Überwindung einer selbstverschuldeten Drogenpsychose durch Musiktherapie und ihre zahllosen Straßenauftritte, die sie aus Geldnot absolvierte.
Die Erfahrung als Straßenkünstlerin merkt man ihr ganz klar an, da ihre Songs immer einen gewissen Jam-Charakter besitzen, was aber auch der Tatsache geschuldet ist, das sie fast ausschließlich mit einer Loopstation performt. Auf ihren Konzerten stellt sie komplett allein als „One-Woman-Band“ ein unfassbar spektakuläres 2-Stunden Programm auf die Bühne, bei dem sie von der Mandoline bis zur Panflöte alles live selbst einspielt.
Die Frage ist: lässt sich das Gefühl, welches sie vermittelt, überhaupt auf einem Studioalbum einfangen?
Zuerst einmal lässt sich sagen, dass die Platte sehr abwechslungsreich gestaltet ist. Von Tracks, bei denen man die Reggae-Einflüsse der Künstlerin klar hört, über R’n’B-Sounds bis hin zu Songs, die nur mit Genrefusionen wie Psychedelic Folk beschrieben werden können ist alles dabei. Da sich Tash bei den Songs nicht mehr in einer Live-Situation befindet, in der sie einen Looper benutzen würde, besteht nun die Möglichkeit, dass mehrere Instrumente gleichzeitig einsetzen, ohne vorher angespielt worden zu sein. Dies wird in einigen Fällen sehr wirkungsvoll eingesetzt. So beginnt zum Beispiel der Track „Pink Moon“ als atmosphärische Singer-Songwriter Performance, endet dann aber in einem ekstatischen Gitarrensolo, das von gewaltigen Drums und sirrenden Orgelklängen untermalt wird. Sie nutzt dies aber auch sinnvoll in den Tracks, die sich mehr nach R’n’B bzw. Pop anhören wie beispielsweise „Free Mind“. Im Chorus setzten dort alle Instrumente ein, sodass der Song sich sozusagen „öffnet“ und es interessant bleibt.
Auf dem Album sind unter anderem auch zwei reine Instrumentals zu finden: das Outro und der Song „Seven“, der schon in die Richtung elektronischer Musik geht. Obwohl der Track aus einer Mischung von Streichern und Harfensamples sowie Klavier-Sounds besteht, ist trotzdem der charakteristische Klang von Sultanas Musik zu erkennen. Untypisch für Tash ist auch die Tatsache, dass gleich 4 Songs als Singer-Songwriter Stücke angelegt sind, auf denen sie ihre Stimme größtenteils nur mit einer Gitarre begleitet. Hier liegt dann der Fokus wieder auf den Lyrics, wie z.B. in „Harvest Love“, bei dem sie ihre stimmlichen Kapazitäten bis zur Grenze ausreizt. Man fühlt sich teilweise fast schon an Wolfsgeheul erinnert.
Ein Song, der als Studio-Version zum Beispiel nicht funktioniert, ist „Big Smoke“. Er wurde, wie „Mystik“, „Murder to the Mind“, „Mellow Marmelade“ und „Blackbird“ bereits auf Youtube veröffentlicht, aber eben noch nicht als Studio-Version. Die minutenlangen Live-improvisations-Parts, die das Lied ausmachen, fehlen nun natürlich und es wirkt dadurch etwas eintönig und starr. Aber vielleicht ist genau das auch Sultanas Problem: Ihre ausufernde Art und Weise zu spielen und zu Komponieren lässt sich schlecht in 3 Minuten quetschen. Da 3 Minuten aber tauglicher für Streaming und Radio sind erschien beispielsweise „Cigerettes“ als gekürzter Radio Edit, bei dem das Gitarrensolo am Ende fehlt.
Der Titel „Blackbird“ ist für mich ganz klar das Herzstück des Albums, auf dem Tash zeigt, wozu sie eigentlich auf der Gitarre mit ihren 20 Jahren Spielerfahrung fähig ist. Die Australierin erzählt im Format „Tiny Desk Concert“, dass der Song entstand, als sie sich in Neuseeland beim Wandern in einer Höhle verirrte. Die fast 10 Minuten lange Hymne klingt düster und stimmungsvoll und erinnert an indische Sitar-Klänge. Der Song hat eine mitreißende Dynamik und einigen Stellen schrebbelt die Künstlerin so energisch auf ihrer Akustikgitarre herum, dass man sich fragt, ob diese noch das Ende des Songs erleben wird.
Abschließend lässt sich klar sagen, dass „Flow State“ trotz einiger Schwächen ein stimmiges Gesamtbild abgibt. Die abwechslungsreiche Zusammenstellung der Songs zeigt ihre Bandbreite als Künstlerin und die Scheibe repräsentiert das, was sie tut angemessen, vor allem da sie alle zwölf Instrumente die vorkommen komplett selbst eingespielt hat. Auch wenn vereinzelt 1-2 Songs wie Füllmaterial wirken und einander zu ähnlich klingen, schafft Tash Sultana es ihren Sound weiterzuentwickeln und zu überraschen.
Simon Kuck