Münster, 24.01.2019. In Wales hat sich also die moderne Pop-Punk-Szene neu erfunden? Als Aushängeschild dafür steht die Band Neck Deep, die 2012 gegründet, bereits drei Alben und zwei Ep’s heraus gebracht haben. Mit ihrem anderthalbjährigen Tonträger gehen sie noch einmal auf Tour durch Deutschland. Erster Stop ist das Skaters Palace in Münster.
Wir sind auf dem Weg dort hin, drei an der Zahl. Die Boxen unseres kleinen Gefährts lassen dessen Innenraum beben. Die Kenner unter uns, schmettern die Songs ihrer seit langem bekannten Lieblingsband mit. Ich dagegen, der dem Genre Pop-Punk seit Teenie-Tagen nicht mehr dieselbe Euphorie entgegen bringen kann, lasse mich mitziehen wie Frodo auf dem Weg nach Mordor. Am Anfang sehr euphorisch, danach eher als ein heißes Ungewisses in der Hitze der Menge. Die Songs erreichen mich emotional nicht so sehr wie die jüngeren Leute um mich herum, die sich textsicher die Seele aus dem Leib brüllen und mit jedem Wort ein Vakuum um sich entstehen lassen, zu dem ich keinen Zugang finden kann.
Vorband Nummer 1 Parting Gift kommen wie obligatorisch erwartbar zu früh und wurden damit von mehr als der Hälfte der Besucher verpasst. Ob das schade ist, steht auf einem anderen Blatt. Dream State, der zweite Opener des Abends, versucht durch szenentypische Bühnenenaffinität, wie Crowdsurfing und 360-Grad-Gekreisel um die eigene Achse auf sich aufmerksam zu machen. Mehr als ein vom Publikum geschmettertes „Crawling“-Cover können sie der Menge dann aber leider nicht bieten. Stille. Wir warten knapp eine halbe Stunde auf das Erscheinen von Neck Deep. Ein Warten bei dem ich mir klar machen kann, wer neben mir in der Menge steht. Einerseits haben wir da Typ 1: Vollblut-Fan, der sich die Finger danach lechzt den umstehenden Menschen zu zeigen wie viele Lyrics er/ sie in exakter Reihenfolge runter reißen kann. Typ 2: Die „Meine Freundin hat mich mit hier hin geschleppt“-Kategorie. Die Generation der Bulimie-Lerner, die Konzerte auf die Art und Weise besuchen, wie sie sich auch auf ihr Abitur vorbereiten: Eine Woche lang jegliches Material in sich hinein stopfen, um es während der Prüfungen über dem Blatt Papier auskotzen zu können: „Ich kenne die Band erst seit drei Tagen, aber kann trotzdem alles mitsingen“.Typ 3: Ich. Mit Affinität zur Art der Musik, hinterfrage ich derartige Hingabe, weil es aus meiner Perspektive einfach einen Unterschied zwischen Bands gibt, die Anfang der 2000er den Zeitgeist einer von Akne befallenen Generation geprägt haben und solchen, die einem Mainstream-Publikum das nahebringen wollen, von dem sie damals selbst geschwärmt haben. Wiederkäuer sind der neue Mainstream.
Der Soundcheck ertönt. Bis mir klar wird, dass dies das Intro der Hauptband ist, finde ich mich im Moshpit wieder. Einer brodelnden Heterotopie, deren einzige Verbindung zu sein scheint, dem Alltag mal richtig auf die Fresse zu hauen. Ich fange mir ein Feilchen ein und fühle mich in mein 16tes Lebensjahr zurück geboxt.
Motion Sickness, Gold Steps, Lime St., Smooth Seas Don’t Make Good Sailors, Parachute, Torn (Cover), Happy Judgement Day, Kali Ma, Serpents, What Did You Expect?, Citizens of Earth, Don’t Wait, December, In Bloom, Can’t Kick Up the Roots, Where Do We Go When We Go.
… Ein helles Licht. Adler erscheinen vor mir und ich fühle mich gerettet. Das Konzert ist vorbei. Kein Adler. Bloß eine schlecht tätowierte Eule auf der Brust meines Gegenübers. Ein Fürsprecher, der das Konzert in einer Person verkörpert. Schmächtig, große Luftlöcher in den Ohren und voller Schmerz, der durch harte Gesichtszüge offensichtlich nach Außen propagiert wird.
Fazit: Es war schön schwitzig und man konnte sich in seinen Emotionen suhlen.
Text: Niklas Falkenstein