„Ich stelle mir immer selbst die Frage, was ich eigentlich an diesem Leben, das ich mir ausgesucht habe, so toll finde“ – Bad Temper Joe im Interview

10. März 2019 | L'UniCo Musikredaktion | Keine Kommentare | Allgemein, L'UniCo on Tour, Musikredaktion

Die Review zum neuen Bad Temper Joe Release „The Maddest Of Them All“ gab es es an dieser Stelle ja schon letzte Woche. Für alle, denen das noch nicht genug ist, haben wir noch ein kleines Schmankerl in Interviewform parat. Moritz hat Bad Temper Joe bei Kaffee und Tee zum Gespräch getroffen um von ihm selbst zu erfahren, was er über sein neues Album, das Tourleben und Unterschiede zwischen Band- und Solo-Dasein zu sagen hat.

Ich erwische Dich gerade in einer kurzen Tour-Pause. Ist jetzt Erholung angesagt, oder brauchst Du gar keine Erholungsphasen bzw. erholst Du Dich vielleicht sogar auf Tour?

Das kommt drauf an, wie die Tour verläuft. Aktuell bin ich mehr oder weniger ein bisschen angeschlagen. Die letzten Konzerte wurden unter Medikamenteneinfluss gespielt, sodass jetzt eine Pause für mich sehr angebracht ist.

Also richtig schlimm krank? Oder Erkältung?

Erkältung, aber das ist bei uns Sängern ja immer sehr gefährlich.

Aber ums Touren soll es nur bedingt gehen, vielmehr interessiert mich Dein inzwischen sechstes Studioalbum „The Maddest of Them All“, das seit dem 15.02. erhältlich und zu hören ist. Normalerweise hasse ich diese Eröffnungs-Fragen zu Bandnamen oder Albumtiteln, aber bist Du „The Maddest of Them All“ oder ist es das „Maddest Album of Them All“?

(Joe lacht) Eine vernünftige Frage… Ich glaube das kommt auf den Hörer an. Und die Interpretation des Albums. Für mich ist das Album zusammengestellt aus verschiedenen Geschichten. In jeder Geschichte kommt ein mehr oder weniger anderer Charakter vor. Ich stelle mir eigentlich vor, dass man sich am Ende fragt: „Wer von diesen Charakteren ist denn ‚The Maddest of Them All‘“?

Also ein bisschen Konzept dahinter, das man vielleicht gar nicht bemerkt, wenn man nicht so ganz tief in die Materie einsteigt? Es ist zum ersten Mal ein Doppelalbum geworden. Hast Du zu viele Songs geschrieben, oder hat es einen anderen Grund?

Zu viele Songs – kann gut sein. Es war am Anfang nicht so geplant. Im Rahmen der Vorproduktion und Vorbereitung für das Album war schon ein dreiviertel Jahr oder so geplant, dass ich es aufnehme. Und in dieser Zeit hat es sich so entwickelt, dass ich irgendwann gedacht habe: Ich habe aus meiner Sicht zu viele gute Songs, die ich nicht wegwerfen möchte. Die Songs möchte ich live spielen. Es ist ein Album, das ich gemacht habe, weil ich neue Songs live spielen will, weil ich zu lange alte Sachen gemacht hab und fast zwei Jahre zwischen den letzten Studioalben lagen. Deswegen sind es so viele Songs. Und die Songs passten zusammen. Aus meiner Sicht geben sie ein geschlossenes Ganzes und deswegen war es für mich nur richtig, ein Doppelalbum zu machen.

Die beiden CDs mit je 11 Songs sind in sich sehr unterschiedlich. CD 1 komplett akustisch und nur unterstützt durch David Lübke und CD 2 mit Full-Band. Wie ist die Entscheidung gefallen, welche Songs auf welche Platte kommen?

Das hat sich durch die Proben ergeben. Wir haben nicht alle Songs mit der Band probiert, aber ich sag mal so 75 Prozent oder so. Und dann hab‘ ich halt einfach rigoros gesagt: „Die möchte ich mit Band machen, oder nicht.“ Der Prozess war eigentlich irgendwann im Sommer letzten Jahres. Ich habe dann auch noch einen neuen Song für die Band-Seite geschrieben, weil mir da noch ein Song gefehlt hat.

Welcher war das?

„Mind Over Matter“, weil ich noch einen richtigen Blues haben wollte und die Blues-Songs, die auf der ersten Seite sind, mir mit Band nicht das gewisse Etwas gegeben haben. Ich habe einfach gesagt, die müssen solo oder mit David sein und die mit Band.

Wie Du gerade schon erwähntest, spielst Du auf der ersten Hälfte des Albums oft zusammen mit David Lübke. Großen Respekt für diese Zusammenarbeit erstmal… Wie kam es dazu, dass David es in Deine Musik und auf Dein Album geschafft hat?

Wir kennen uns schon `ne Weile. Ich glaub – bestimmt schon vier Jahre oder so. Er war irgendwann mal auf einem Konzert von mir. David ist ein großer Freund davon, Leute, mit denen er zusammen Musik machen möchte oder Musiker, mit denen er Kontakt halten möchte, immer direkt anzusprechen. Also hat er mich auch direkt nach dem Konzert angesprochen. Und dann haben wir zwei irgendwann mal zusammen ein Doppelkonzert gespielt. Wir haben da schon angefangen Sachen des anderen mitzuspielen. Bob Dylan-Sachen, weil wir beide große Bob Dylan-Fans sind. Irgendwann als ich dann die Songs geschrieben habe, hab‘ ich – ich glaube der ausschlaggebende Song war „Postcards Ain’t Enough“ – dann gedacht, anstatt den nur alleine zu machen, wäre es irgendwie cool, wenn David Banjo spielt, weil er ein überragender Banjospieler ist. Und dann hab‘ ich ihn gefragt, ob er den Song mitspielen möchte. Er hat gesagt: ‚Ja Gerne‘ als er ihn gehört hat und ich hab‘ ihm noch mehr Songs geschickt – auch von der Bandseite und ihn gefragt, ob er es sich vorstellen könnte, noch bei anderen Songs mitzuspielen. Er hat sich Songs ausgesucht und die haben wir gemacht.

Also es war seine Auswahl. Er hat die Songs gewählt, nicht Du als Bandleader? Also hat er einfach auch nochmal eine ganz andere Motivation, die Songs zu bearbeiten?

Ja. Für mich ist es auch wichtig, dass wenn Leute mit mir Musik machen, die sich mit den Songs beschäftigt haben – einigermaßen. Und nicht einfach irgendwas spielen, bei dem sie denken, dass sie das schonmal irgendwie gespielt haben. Und dabei hilft es sehr, wenn die Leute selbst die Songs aussuchen.

‚Postcards Ain’t Enough‘ ist einer der Songs, in denen Du das Tour-Leben und dessen positive und negative Seiten besingst. Ist dieses Tour-Leben für Dich immer Inspiration, oder ist es das Spannungsfeld zwischen dem freien Alleine-Unterwegs-Sein und dem Vermissen bestimmter Menschen und Umstände? Ist diese Anspannung zwischen Euphorie und Heimweh Inspiration für Dich, oder ist das eher Normalität und beeinflusst Dich nicht?

 Es beeinflusst mich schon. Ich stelle mir immer selbst die Frage, was ich eigentlich an diesem Leben, das ich mir ausgesucht habe, so toll finde. Weil eigentlich ist es ja nicht so toll, die ganze Zeit weg zu sein. Das habe ich echt, wirklich. Früher hab‘ ich solche Songs gar nicht geschrieben – übers Unterwegssein. Da sind ja einige auf dem neuen Album. Für mich stellt sich eigentlich genau die gleiche Frage: Ist es das Unterwegssein, was ich favorisiere oder ist es einfach nur die Konzerte zu spielen. Wenn ich nur die Konzerte gut finde, könnte ich die ja einfach nur in meiner Heimatstadt spielen. Aber das möchte ich ja auch nicht. Das heißt, eigentlich finde ich das Unterwegs- und in einer anderen Stadt vor fremden Leuten sein ja irgendwie schon attraktiv. Aber gleichzeitig vermisse ich schon irgendwas.

Vielleicht noch ein Sprung zurück zur Unterteilung von Solo- und Band-Songs. Damit gehen zwei verschiedene Herangehensweisen ans Musikmachen einher. Solo hast Du mehr Raum für eigene Dynamik und Tempo. Mit Band klingt es voller, aber Du bist auch eingeschränkter in der Art zu Musizieren – live und im Studio. Hast Du eine Art des Musikmachens, die du präferierst?

Auf jeden Fall. Alleine Musik machen. Weil ich einfach gemerkt hab, dass es für mich im Livekontext darum geht, mich in der Musik zu verlieren und einfach einen Moment zu erreichen, an dem ich alles drumherum vergesse und eigentlich im Grunde auch in dem Moment nicht weiß, wo ich gerade bin. Ganz schlimm gesagt: Quasi auf eine andere Ebene zu kommen – auch geistlich. So ein bisschen religiöses Gedöns. Und das ist für mich umso einfacher, mit je weniger Leuten ich spiele. Und alleine ist es halt einfacher, diesen Moment deutlich öfter zu erreichen, als mit einer Band. Ich erwische mich immer dabei, dass ich sehr viel nachdenke bei Konzerten. Zwischen den Songs, oder in den Songs, wenn ich sie spiele und gar nicht an die Songs denke. Das passiert schon öfter, wenn ich mit der Band spiele. Weil ich dann darüber nachdenke: Was kommt als nächstes? Was haben wir abgesprochen? Besonders bei schlecht geprobten Sachen ist es immer so eine wackelige Angelegenheit. Im Trio ist das auch alles super. Wir haben da echt super Momente manchmal. Im Duo ist es halt auch wieder `ne Stufe leichter. Alleine ist es aber am einfachsten, in diese Dimension zu kommen.

Wenn Du sagst, dass die Band eher zweitrangig ist, wie ist das dann in der Zusammenarbeit? Sind die nicht teilweise beleidigt, wenn Du sagst: Okay, die Songs spiel ich alleine oder da bin ich jetzt alleine unterwegs. Gibt es Spannungen, oder sind damit dann alle cool?

Ne es ist eigentlich -hoffe ich zumindest; nicht, dass ich jetzt `was Falsches sage- durch den finanziellen Aspekt relativ klar, dass ich mehr alleine spielen muss. Sie wissen aber auch, dass manche Songs alleine einfach besser funktionieren. Selbst Songs, die wir irgendwann mal mit Band gespielt haben, will ich dann halt mal nur alleine spielen. Es hat sich auch so eingebürgert, dass ich während unserer Bandkonzerte Sachen alleine spiele, auch wenn es dann vielleicht mal nur ein Song ist. Es ist jetzt nicht so, dass es da irgendwie eine große Spannung gibt. Dafür ist auch dieses Konzept der Band, das ich favorisiere, nicht geeignet. Wir sind ja kein Kollektiv, das zusammen die Songs schreibt.

Du schreibst und machst viel alleine und bist unterwegs. In der Rezension zu „The Maddest of Them All“ habe ich dir den Titel ‚Arbeitstier‘ angedichtet. Ist es für dich selbstverständlich, so produktiv zu sein, oder muss du dir auch manchmal selbst in den Arsch treten, um bestimmte Dinge zu erledigen.

Das ist so eine Frage, die man echt gerne mal gestellt bekommen möchte. Für mich ist es selbstverständlich. Es geht gar nicht darum, eigene Songs zu schreiben, sondern es ist für mich selbstverständlich ein Repertoire zu haben. Und zwar ein möglichst großes Repertoire. So hab‘ ich abgefangen. Ich hab‘ halt jeden Bob Dylan Song gelernt und Unmengen an Bluessongs. Ich hab‘ jeden Robert Johnson Song, ich hab Muddy Waters Songs und auch Country Songs und möglichst viele andere Songs gelernt, um Songstrukturen zu begreifen. Und daraus hat sich ergeben, dass ich Songwriter geworden bin. Weil ich halt irgendwann diese Songs nicht mehr spielen wollte. Und auch aktuell will ich mir ständig neue Songs aneignen neue Songs lernen, um einfach nicht stecken zu bleiben. Und dadurch, dass ich dann irgendwann in diesen Coversongs gute Songs finde, aber dann denke: „Ich möchte live kein Cover spielen“, schreibe ich einen Song, der für mich in dem Stil ist, den ich gerade gecovert habe. Oder ich versuche, einen Song in der Art zu schreiben. Und so ergibt sich halt, dass ich viele Songs schreibe.

Gibt es da einen Song auf dem Album zu dem Du sagen kannst: Zu dem Song hat mich dieser oder jener Song inspiriert, oder willst du das gar nicht verraten?

Ich glaub, dass ich es mittlerweile vergessen habe. Und man muss auch ganz ehrlich sagen, dass es die Leute, die es hören wollen, auch hören. Ob es Textzeilen sind oder Akkordfolgen. Das hört man schon.

Wie kommen wir jetzt zu einem guten Schluss? Wie geht es für Dich weiter? Also nicht heute, sondern die nächsten Wochen bei der Tour. Kommt das nächste Album in vier Wochen, oder gibt es wieder ein paar Inspirationen unterwegs?

Erstmal geht’s diese Woche nochmal mit der Band los. Die letzten drei Bandkonzerte spielen wir in Marburg, Dortmund und Leverkusen. Und dann spiele ich den restlichen März nochmal alleine. Einmal geht’s in den Norden und einmal nach Hessen und ins nördliche Baden-Württemberg. Und dann ist April und Mai. Da spiele ich weniger Konzerte und im Sommer ziehe ich mich wieder ein bisschen zurück. Weil ich es irgendwie nie schaffe, mir rechtzeitig Festivals zu organisieren. Und ich will aber im Moment nicht daran denken, `was Neues zu schreiben. Also es ist so, dass ich neue oder unfertige Sachen habe, bei denen ich aber aktuell nicht das Bedürfnis habe, sie live zu spielen. Es gibt ein paar Pläne, aber die sollte man hier jetzt nicht so breittreten, weil es alles noch sehr vage ist. Erstmal möchte ich unterwegs sein. Natürlich schreibe ich dadurch auch wieder neue Songs. Da bin ich mir ziemlich sicher. Wenn ich halt alleine in meinem Kämmerlein zuhause sitze, dann schreibe ich auch meine Sachen.

Oder im Hotelzimmer?

Oder im Hotelzimmer! Und zu Plänen: Ich muss einfach Konzerte spielen, oder ich möchte einfach Konzerte spielen. Nicht: „ich muss“. Das klingt so schlimm. Ich möchte gerne Konzerte spielen. Mehr und mehr und im Moment habe ich erstmal genügend Songs. Es fällt mir schon immer schwer, welche wegzulassen.

Interview: Moritz Herrmann