Manchmal gibt es da Veröffentlichungen, die in der Musikredaktion ganz besonders sehnsüchtig erwartet werden. Als nach Mount Winslows Support-Gig beim Moe-Release-Konzert im letzten Jahr, wenn auch noch etwas vage, klar war, dass da irgendetwas in den Startlöchern steht, war die Vorfreude groß. Am 15. März 2019 das Licht der Welt erblickt, ist sie nun endlich da: Mount Winslows Debüt EP „Burden Of Time“. Worauf man sich beim Hören freuen kann und wie uns die Release-Show gefallen hat, erzählen euch Vincent und Laura:
Um die dringendste Frage gleich zu Beginn zu klären: „Mount Winslow“ ist kein wirklicher Ort (das heißt, jetzt irgendwie schon, aber dazu später mehr…). Die Inspiration für den Namen kam den vier Musikern aus Paderborn vielmehr von Norther Winslow, einem von Steve Buscemi meisterhaft gespielten Dichter, Bankräuber und Geschäftsmann aus dem Tim Burton-Film „Big Fish“. Und genauso wenig, wie ihr filmisches Vorbild lassen sich Mount Winslow eindeutig festlegen: Ihr Sound wandert zwischen Folkpop, Indie und Postrock hin und her, behält dabei aber immer einen eigenen, warmen Klang.
Auch der Aufbau des Albums erinnert ein wenig an einen Film. Der Titeltrack „Burden of Time“ beschreibt zunächst das Setting: Ein stilles Haus, geschlossene Türen, Anrufe werden nicht entgegengenommen. Sänger Piet Julius stimmt eine Hymne auf die Entschleunigung an. Passenderweise hält sich der Song nicht an das radiotaugliche 4/4-Metrum, sondern steht größtenteils in einem verspielten 6/8-Takt, der aber immer wieder von spontanen Taktwechseln unterbrochen wird. Mount Winslow stellen hier bereits ihr breites Klangspektrum vor. Weite Flächen und dichte Texturen aus Gitarren, Piano und Harmoniegesang und groovigen Passagen, die vor allem von Schlagzeug und Bass getragen werden, wechseln sich ab. Das wunderschöne Musikvideo, das die Jungs größtenteils in Eigenregie im Haus Kreienhoop gedreht haben, fängt die Stimmung perfekt ein.
Der zweite Titel „Closing Phrase“ widmet sich dem nächsten großen Thema, indem die junge Annie mit dem Sterben eines alten, schreibenden Mannes konfrontiert wird. Sehr berührend ist dieser Song und kaum zu ertragen ist der treibende Rhythmus, der unmissverständlich klarmacht, dass dem „typewriting man“ nicht mehr viel Zeit bleibt, um die offenen Enden zusammenzuführen und seine eigene Geschichte abzuschließen. Bassist Simon Tubbesing wechselt stellenweise auf einen Moog-Synthesizer und rundet das Arrangement durch gefühlvolle Filterfahrten ab.
Mit „A Bird Got Killed Today“ schieben Mount Winslow anschließend zunächst ein retardierendes Moment ein. Als aber langsam klar wird, dass tote Vögel und kahle Bäume metaphorisch für das verunsicherte Innenleben des Protagonisten stehen, steigern die Musiker die Dynamik. Was folgt, ist ein von Cellotönen getragenes Postrock-Crescendo, das in einem fulminanten Noise-Gitarrensolo von Henry Buttchereit gipfelt. Und als wäre das nicht schon genug, endet der Song in einem Ambientpart, den sich Radiohead nicht besser hätten ausdenken können.
Noch mystischer wird es in „Piece of Paper“, das über weite Teile von Raphael Kazulkes rollenden Floortom-Rhythmen getragen wird, bevor Mount Winslow mit „Last Night All Satellites Exploded“ noch eine richtige Ohrwurm-Hook auspacken. Die ist nicht nur wahnsinnig catchy, sondern auch ein klares Statement gegen die permanente Verfügbarkeit durch digitale Medien und den Stress eines zeitlich durchgetakteten Alltags. Diese Last, die auf unserer Generation liegt, gilt es zu überwinden, auch wenn dafür dann mal eine Verabredung abgesagt wird. Die Paderborner laden uns ein, mit ihnen zusammen einen Moment der Ruhe auf Mount Winslow zu verbringen und zwischen den samtweichen Gitarrenarpeggien des letzten Songs „Tranquil“ ein kleines bisschen Seelenfrieden zu finden…
„Burden of Time“ ist eine großartige EP und fast schon zu gut für das Debüt einer jungen Newcomer-Band. Mount Winslow verbinden wirklich gutes Songwriting mit einem angenehm unaufgeregten Kommentar zum aktuellen Zeitgeist und legen ein musikalisch facettenreiches, inhaltlich reifes und auch irgendwie politisches Album vor.
Allerspätestens nach dem ersten Mal hören der EP war klar, beim Release-Konzert im Wohlsein Paderborn herrscht Anwesenheitspflicht – No excuses! Dass dies nicht nur von uns so wahrgenommen wurde, zeigt wohl am besten die Meldung „AUSVERKAUFT“. Und um schon einmal etwas vorwegzunehmen: Selten waren Location-Name und Konzerterlebnis so gut aufeinander abgestimmt.
Der Abend wurde von der Paderborner Band „Night Orchestra“ eröffnet. Gerade einmal 2 Monate Bandgeschichte hinter sich, machten die Jungs mit ihrem verträumten, teils folkig angehauchten, Indie/Dream-Pop, schon viel Lust auf alles was da noch kommt.
Den Anschluss machte die Bremer Band „Wezn“ und der war verdammt nochmal unerwartet. Elektronische Syntheziser-Sounds mit geloopten Vocals, das Drumset aber ganz oldschool akustisch eingesetzt, ergeben einen ziemlich explosiven Sound. Mal mystisch und groß, dann wieder komplett reduziert. Wir waren irgendwie ganz einfach mal völligst weggeflasht. (Das war kein Deutsch, spiegelt die immer wieder aufblitzenden „Wie gut ist das bitte?“ -Momente während des Sets aber doch adäquat wieder.)
Um nun zu Mount Winslow zu kommen. Was die EP angeht hat Vincent mit musikspezifischen Fachtermini ja schon alles abgeklärt. Daher kommt hier eine kleine eher publikumsfixierte Beschreibung, an der man die Qualität dieser Release Show auch ganz gut ablesen kann. Der kleinen Eso-Aufforderung in Richtung Publikum, sich auf eine musikalische Reise zu begeben, wurde offenbar nur allzu gerne nachgekommen: Die Augen, entweder genüsslich, halb geschlossen oder fasziniert und weit aufgerissen. Dazu Bewegungen, die jeden musikalischen Impuls direkt aufnehmen und wiederspiegeln. Beim emotionalen „Closing Phrase“ dann der erste Mitsing-Moment (da hat das wirklich wunderschöne Lyric-Video wohl seinen Zweck erfüllt). In die Musik versunken und zugleich aufmerksam ließ sich das Publikum im Verlauf des Konzerts nur allzu gerne um den Finger wickeln.
Besondere Schmankerl waren natürlich auch die Unterstützung durch Sängerin Julia und Cellist Christoph. In einen Rahmen von größtenteils älteren Songs eingefasst, spielte die Band ihre Debüt-EP an einem Stück und führte das Publikum entlang an abwechslungsreichen aber vor allem unfassbar schönen Melodien, die besonders durch die aufeinander eingespielte Performance glänzten. Immer noch verzaubert von der schönen Stimmung ging es fürs Publikum wieder raus auf die frühlingshaften Paderborner Straßen oder zum Weiterfeiern. Das war Harmonie, Aufbruch, Spannung und Entspannung –immer zum Wohlfühlen an diesem Abend im Wohlsein.
Es lässt sich festhalten: Die EP funktioniert im Live-Kontext genauso gut, wie im heimischen Umfeld und lädt zum Nachdenken, Mitfühlen oder einfach nur Genießen ein. Was will man denn mehr?
Text: Vincent Ancot und Laura Schiller
Fotos: Fiona Thiele