Deutschsprachige Liebeslieder mit Synthesizer. Diese Worte beschreiben die Lieder des Schweizer Sängers Dagobert sehr gut. Erst kürzlich erschien das neuste und dritte Album „Welt ohne Zeit“, und was ist da naheliegender, als auf Tour zu gehen? Richtig, gar nichts! Auf seiner Deutschlandtournee hat er unter anderem im „Hotel Shanghai“ in Essen Halt gemacht, wo auch Tine und Till für L’UniCo mit von der Partie waren.
Wer schon einmal das Hotel Shanghai betreten hat, weiß: Darin verbirgt sich eine Parallelwelt, in der Drinks, gute Musik und schöne Dekorationen nicht zu kurz kommen. Eine Welt, in der ein leuchtender Panda über der Bühne erstrahlt und dir sagt: „Hier bist du richtig, du verlorene Seele der Nacht. Ich bin für dich da“.
Um 21 Uhr beginnt das Konzert. Die Venue ist gut gefüllt. Ein wunderschöner Blumenstrauß schmückt die Bühne. Das Alter der Besucher*Innen teilt sich in 2 Gruppen. Zum einen wären da die jungen Studierenden im Party-Modus, die die ersten Reihen für sich in Anspruch nehmen. Direkt dahinter warten die Spex-Leser*Innen im Alter 40+ mit verschränkten Armen und wertendem Blick auf die heutige Show. Die Blüten und Blätter wehen im Wind der Klimaanlage. Als Support hat Dagobert „Minneapolis“ mitgebracht, welcher mit einem roten Parka die Bühne betritt und allein auf der Bühne steht. Minneapolis, bürgerlich Konrad Betcher, ist vielleicht noch nicht Vielen ein Begriff, dennoch werden schon einige seinem musikalischen Wirken gelauscht haben. Er war nicht nur jahrelang Pianist und Background-Sänger der Casper-Band, sondern auch Produzent der aktuellsten Platte von Dagobert.
Minneapolis verzichtet auf Ansagen an das Publikum. Diese übernimmt eine Computerstimme für ihn, die jeden Song mit „Enjoy!“ anpreist. So entsteht eine gewisse Mystik, welche auch die Songs umgibt. Jedes Lied vermittelt eine Wichtig- und Eindringlichkeit. Während seiner Performance wirkt Betcher durch die künstlichen Ansagen unnahbar, obwohl man nur wenige Meter von ihm entfernt steht. Mit Weißheiten wie, „We`ve never been that cool, just lost kids in our part of town“, wickelt er das Publikum ein und bringt es zum Tanzen. Die Musik erinnert in manchen Momenten leicht an „The xx“. Jedoch sind die Songs viel aktivierender, fordernder und lauter. Trotz des klar im Pop verorteten Sounds behält die Musik durch verzerrte Elemente etwas Raues und Unperfektes. Ein Sound der dreckigen Straßenecken von Vorstadtkindern.
Schaut euch hier das Video zu der Single „THE PARK“ an.
Nach einem ca. 30-minütigem Set verschwindet Minneapolis und der Blumenstrauß mit ihm im Publikum.
Es ist Zeit für den Mann des Abends. Die Bühne ist voll beladen mit Instrumenten und Effektboards, die tolle Klänge versprechen. Kurzzeitig sorgt man sich, wie die Musiker denn an ihre Instrumente, geschweige denn auf die Bühne kommen sollen, ohne zu stolpern. Es geht jedoch alles gut, und Dagobert wird schon bald unter tosendem Beifall vom Publikum in Empfang genommen. Es beginnt. Sanft singt er die ersten Zeilen des Album-Openers „Du und Ich“, bevor der Song im Refrain in tiefster Sehnsucht explodiert. „Oh, wenn zwei wie wir nicht zueinander finden/Muss irgendwer die Welt neu erfinden, denn /
Oh, nichts ist besser als du und ich“. Das Publikum singt gebannt mit, jede Bewegung von Dagobert wird vom Publikum erwidert und gespiegelt. Ganze sieben der zehn neuen Songs des aktuellen Albums bringt er im Laufe des Abends auf die Bühne. Dem vielversprechenden Auftakt folgt jedoch schnell eine kleine Ernüchterung. Während Dagoberts Songs oftmals von Naivität, Sinnlichkeit und Feingefühl geprägt sind, verliert sich das Publikum spätestens beim dritten Song „Angeln gehen“ (vom vorherigen Album „Afrika“) in einer Schlager-Ekstase. Wir finden uns in einem Zwiespalt wieder. Die Band spielt fantastisch, die Songs sind klasse. Aber die Unschuld der Lieder steht im Gegensatz zum derben Abfeiern des Publikums. Doch wer möchte denn bitte jemandem auf einem Konzert böse sein, weil er die Songs fühlt und ordentlich abgeht? Das gehört schon dazu, oder? Das erste Bier fliegt durch die Luft und landet in unseren Gesichtern. Das gehört zu Konzerten ja auch irgendwie dazu. Jedoch…irgendwie… Irgendwie passt es nicht zum Inhalt der Songs. Teils negiert es die Naivität der Musik, die Dagoberts Schaffen oft so besonders macht. Die große Liebe und Sehnsucht wird hier im Bier ertränkt und man versucht sie vergebens auf diesem kleinen „Oktober-Fest lite“ wiederzufinden.
Gerade bei den ruhigeren Liedern, wie bei „Uns gehört die Vergangenheit“ kommt das Publikum an seine Grenzen. Zu sehr ist es schon im Ballermann-Modus, um sich darauf einzulassen. Zu groß die Lust doch zwischendurch mal mit Anderen laut zu reden. Nur eine ältere Dame hinter uns wippt ganz langsam von einem Bein zum anderen und hört mit berührtem und betörtem Blick einfach zu. Insgesamt scheint das junge, feiernde Publikum mit den Spex-Kritiker*Innen im besten Alter hinter uns nicht zusammen zu passen. Und wir stehen mittendrin. Hits wie „Flashback“, „Ich bin zu jung“ und „Einsam“ reihen sich danach ein.
Die Band spielt sauber und gut zusammen, auch wenn die Männertruppe manchmal charmant an den hohen Backing-Vocals scheitert. Die Soundqualität schwankt an diesem Abend jedoch stark. Oft starten die Instrumente viel zu laut, sodass sich das Publikum die Ohren zuhalten muss, bis der Tontechniker die richtige Lautstärke findet. Ist die jedoch erstmal eingestellt, klingt alles super.
Der entspannte Song „Moonlight Bay“ sorgt für einen kurzen angenehmen Ruhepol im Set. Mit „Zehn Jahre“, „Hochzeit“ und „Für immer Blau“ reihen sich auch weitere Titel der vorherigen Alben in die wohl durchdachte Setlist ein und die Minuten ziehen schnell vorbei. Das Konzert neigt sich dem Ende zu.
Für die Zugabe kehrt die Dagobert-Band mit dem Stück „Wir leben aneinander vorbei“ zurück. Einer seiner besten Songs. Lukas Jäger besingt nicht nur die Distanz zu seiner großen Liebe, sondern auch die Distanz zur heutigen Gesellschaft, in die er nicht zu passen scheint. Er singt von einer negierten Utopie, einem Fortschritt, der nur durch das Zusammenfinden wirklich aller Menschen möglich ist.
Nach dem Konzert gehen wir langsam hinaus. Zum Teil unangenehm war die Stimmung. Wunderschön war die Musik. Wir schauen zwiegespalten auf den Abend zurück. Am nächsten Tag aber, auf der Rückfahrt nach Paderborn, schallt wieder Dagobert durch unsere Ohren. Vielleicht denken wir ernüchtert an das Konzert zurück. Aber nicht schlecht. Dafür waren und sind die Lieder einfach zu gut.
Text: Christina Bergs und Till Otte
Fotos: Christina Bergs und Till Otte