Better Oblivion Community Center (im folgenden BOCC) – „Bitte was?“ – mag sich der ein oder andere vielleicht fragen. Nicht ganz zu Unrecht, denn Fans der amerikanischen Singer-Songwriter/Folk-Szene dürften sich am 24. Januar 2019 beim Blick in ihren Newsfeed wohl auch kurz gefragt haben, ob man kalendarisch denn schon am 1. April angekommen sei. Zu schön um wahr zu sein wirkte die Gründung der Supergroup von Phoebe Bridgers zusammen mit niemand geringerem als Bright Eyes-Star Conor Oberst, der schon im Song Would You Rather auf Bridgers Debüt zu hören war. Und das auch noch kurz nachdem Phoebe Bridgers, Lucy Dacus und Julien Baker erst im Vorjahr die Gruppe boygenius gegründet und eine EP released hatten. Zusammen mit Bekanntgabe des neuen Bandprojekts wurde auch gleich unter demselben Namen ein Album veröffentlicht. Wenn schon, denn schon. Was nach Band-Formation und Album-Release natürlich nicht fehlen darf, ist die nachfolgende Tour, bei der wir von L’UniCo uns mit einer ganzen Expertenrunde für traurig-schöne Musik zum Meeting (so nennen BOCC ihre Konzerte angelehnt an eine Selbsthilfegruppensitzung) auf den Weg in die Kölner „Kantine“ machten.
Das Publikum ist an diesem Abend bunt gemischt. Der Großteil der Konzertbesucher ist wohl irgendwo in einer Altersspanne zwischen 20 und 50 zu verorten. Ja, auch diejenigen, die ihren Herzschmerz damals in ihren 20ern mit Bright Eyes-Songs untermalten sind hier zahlreich vertreten. Lediglich kreischende Teenager sucht man (angenehmerweise) vergebens und so kann es ganz entspannt und pünktlich um 20 Uhr mit dem Support Act Christian Lee Hutson losgehen. Alleine sitzt er mit Akustikgitarre in der Mitte der Bühne, hinter ihm der Backdrop, ein stilisiertes Gebäude mit der Aufschrift „it will end in tears“ – Na das kann ja was werden. Mit beeindruckenden Fähigkeiten an der Gitarre und herzerwärmenden Storytelling hat das ganze schon etwas von Lieder- und Erzählstunde mit Onkel Christian. Und das im besten Sinne. Noch fließen jedenfalls keine Tränen. Gebannt lauscht jeder der warmen Stimme des Singer-Songwriters und als an der Bar offenbar ein Tablett mit Gläsern zu Bruch geht, bricht das Publikum kurz mit ihm zusammen in Gelächter aus „Now I realise how fucking quiet you are“. Sehr sympathisch. Und da ihn das Publikum dem abschließenden Applaus nach zu urteilen sowieso ganz wundervoll findet, bleibt er einfach noch ein wenig und mischt sich als Lead-Gitarrist unter die BOCC Band. Wer mag, darf sich hier seine kürzlich veröffentlichte Single Northsiders zu Gemüte führen, aus dem Fenster schauen und etwas tagträumen.
Um 21 Uhr ist die Zeit für die Stars des Abends angebrochen. Gar nicht star-like aber dafür herrlich verschroben und liebenswürdig wirken Oberst, wie aus einer etwas in die Jahre gekommenen Nirvana-Coverband gefallen und Bridgers, mysteriös á la Luna Lovegood mit schwarzem Latzkleid und schwarzem Lippenstift. Der wurde im Vorfeld offenbar auch noch mit einem dicken Schmatzer auf Obersts Wange platziert. Ein Duo auf Augenhöhe, dem man immer wieder die Freude am gemeinsamen Projekt ansieht und gar nicht anders kann, als sich einfach mitzufreuen.
Den Großteil des Programms macht natürlich das im Januar veröffentlichte Album aus, auf dem sich zu den mit beiden Künstlern assoziierten Folk-Klängen eine Ladung 90’s inspirierter Indie/Alternative-Rock gesellt. Absolut souverän präsentiert und dem Konzert entsprechend in eine ziemlich ausgewogene Reihenfolge gebracht, wechseln sich eher ruhige, reduzierte Lieder, wie Forest Lawn mit energiegeladenen und etwas schmissigeren Nummern, wie Dylan Thomas oder der Neuveröffentlichung Little Trouble ab. Für einen Gänsehautmoment sorgt beispielsweise Service Road, welches von Obersts verstorbenen Bruder handelt. Der ansonsten auch gerne den Rockstar gebende Oberst wirkt hier fast etwas zerbrechlich und schaut gelegentlich zu seiner Kollegin, die neben ihm mit einem beeindruckenden Selbstverständnis performt und ihm so etwas Halt zu geben scheint.
Da man mit einem einzigen Album natürlich kein ganzes Konzert füllen kann, weben die beiden geschickt einige Cover, größtenteils aus eigenem Repertoire, in das Programm ein. Der Bright Eyes Song Lua wird somit ganz bezaubernd mit Bridgers interpretiert und sorgt abermals für eine sehr emotionale Atmosphäre. Bei zwei derartig starken Songwritern überrascht es nicht, dass die intensivsten Momente entstehen, wenn den Lyrics viel Raum gegeben wird, so wie es auch bei Would You Rather der Fall war. Zum dahinschmelzen, wie Bridgers bittersüß mit der Zeile „Come to find out“ beginnt, Oberst mit „I’m a can on a string/ you’re on the end“ übernimmt und sich beide dann ein verschmitztes Lächeln schenken. Mit Songs, wie dem etwas elektronischen Exception to the Rule, bei dem Bridgers und Oberst wie ein verschworenes Duo, die Köpfe zusammensteckend, auf Liegestühlen Platz nehmen und Bälle durch den Raum fliegen, steigt das Energielevel wieder an. Der persönliche Höhepunkt ist dann aber sicherlich Funeral. Oberst machte aus dem im Original eher getragenen und fast ausschließlich mit Akustik-Gitarre instrumentierten Bridgers-Song eine Kick-Ass Punkrock-Nummer, bei der die sonst irisch anmutende Violine im Schlussteil einfach mal durch ein E-Gitarren Solo ersetzt wird. Als Melancholie-geplagter Millenial kann man quasi nicht anders als den Chorus „Jesus Christ, I’m so blue all the time/ That’s just how I feel/ Always have and I always will” lauthals mitzusingen. Vor lauter Überraschung ob der unerwarteten Version fällt der Publikumschor dann aber doch nicht ganz so stimmkräftig aus. Möglicherweise ist die Bright Eyes-Fraktion unter den Zuschauern aber auch einfach noch nicht textsicher genug.
Hervorzuheben ist abschließend, wie Obersts sehr eigene, fast nasale mit Bridgers unverbraucht klaren und häufig ungewohnt kräftig eingesetzten Vocals, abseits von gewohnten Duett Aufteilung, schon beinahe zu einer einzigen charakteristischen Stimme verschmelzen. Dass Bridgers Vocals in halligen Passagen gelegentlich im Mix untergehen und etwas von den restlichen Instrumenten „überfahren“ werden, ist wohl der einzige Wehrmutstropfen. Da die Songs soundtechnisch teils sehr unterschiedlich sind und auch noisy Elemente nicht fehlen dürfen, ist das aber nachzuvollziehen und fällt nicht allzu schwer ins Gewicht. Spätestens als Bridgers bei der zweiten Zugabe Dominos, der Saal in Regenbogenlicht getaucht, mit einem etwas zaghaften Sprung von der Bass Drum hüpft, ist sowieso jeder verzaubert und froh bei diesem einzigartigen Meeting von Better Oblivion Community Center dabei gewesen zu sein. Die dem Backdrop zu entnehmende Vorhersage „it will end in tears“ passt zwar zu den größtenteils melancholischen Stücken, wie man sie von beiden Künstlern gewohnt ist, bewahrheitet sich dann aber doch nicht (eine Ausnahme bilden hier vielleicht kleine Freudentränen). Und so ging es für uns müde aber durchaus glücklich wieder zurück nach Paderborn.
Text: Laura Schiller
Fotos: Michelle Maurer