Nach einer kurzen Promophase, die ein paar, mit Soundschnipseln versehene, sehr eigenwillige Videoclips umfasste, erschien am 17. Mai das aktuelle Tyler, The Creator Album, IGOR. Dieses Projekt wurde mit Spannung erwartet, da sich der ehemalige „Odd Future“-Initiator mit seinem Vorgängeralbum Flower Boy, welches 2017 einige hohe Plätze in Jahres Top-Listen und eine Grammy-Nominierung einheimsen konnte, so musikalisch und ehrlich wie nie gab. Ging es auf Flower Boy generell um Tylers derzeitigen Standpunkt im Leben, konzentriert er sich auf IGOR um die (primär unglückliche) Liebe.
Die 12 Songs, welche eine Lauflänge von 39 Minuten umfassen, behandeln nach und nach atmosphärisch dicht die Stationen, welche eine Liebesbeziehung durchläuft, wenn sie dann irgendwann scheitert. So erkennt er auf „Earfquake“ und „I Think“ seine Liebe welche am Ende des Albums mit „Gone Gone / Thank You“ und „I Don’t Love You Anymore“ in Scherben liegt. Klingt deprimierend, Tyler schafft es jedoch das Thema nicht unnötig dramatisiert wiederzugeben. Im Gegenteil: Gerade I Think ist unglaublich catchy. So wirkt er mit dem fulminanten Are We Still Friends? als wäre er ein Stück weit darüber hinweg und beendet das Album nicht – wie er selbst sagt – ‚on a bad episode‘.
Die Beats sind, so traurig vielleicht auch das Thema des Songs ist, sehr detailliert und wunderschön arrangiert. Er kombiniert auf IGOR viele verschiedene Musikstile und bringt sie sinnig in das Konzept des Albums ein. Der musikalische rote Faden ist hier der verzerrte Bassynthesizer, welcher immer wieder auf den Songs zu hören ist.
Klassischere Rap-Songs wären etwa What’s Good oder New Magic Wand wohingegen Puppet oder Are We Still Friends einen starken Indie-Ansatz haben. Jedoch lässt sich kein Song haargenau einem Genre zuordnen was dieses Album so stark macht. IGOR bricht mit jeglicher Erwartung die man, besonders, wenn einem Flower Boy zugesagt hat, an das Album haben könnte. Passend, dass Tyler vor der Veröffentlichung eine Anleitung getwittert hat, mit welcher er das optimale Setting schildert in welchem man dieses Album das erste mal hören sollte und den Hinweis gibt, dass es kein Rap-Album sei. Recht hat er. Dabei ist es nicht komplett frei von Rap-Verses, sie stehen nur weitaus weniger im Vordergrund, als es bei Tylers vorherigen Projekten der Fall war. Wie auch schon auf Flower Boy traut er sich immer mehr, seine eigene Singstimme auf den Songs zu platzieren, wenn auch häufig höher gepitcht.
Auch die vielen Feature-Gäste stehen auf IGOR nicht im Rampenlicht, sondern ordnen sich dem Zweck des einzelnen Songs und dem Albumkonzept unter. Zu nennen wären etwa Jack White, Pharell Williams oder Solange Knowles, welche aber lediglich ein paar Backing-Vocals beisteuerte. Die einzigen Stellen, an welchen die Features wirklich herausstechen sind im Titel Earfquake, wo Playboy Carti einen Verse liefert und auf Puppet, auf welchem Kanye West nicht nur auch einen Verse bekommt sondern auch auf der Hook zu hören ist.
Der erste Höreindruck von IGOR kann aufgrund der Vielzahl an Überleitungen und Beatswitches etwas überfordern aber es ist bemerkenswert, wie sich diese ganzen Puzzleteile zusammenfügen, je häufiger man sich das Album anhört. „Die eine Single“ hat das Album nicht, aber immer wieder überzeugen die Songs durch eingängige Melodien und Rapflows, sowie meisterhaft produzierte Beats. Die sprichwörtlich „blumige“ und organisch-hochglänzende Umsetzung von Flower Boy wird hier durch Synthesizer und staubige Samples ersetzt, ohne dass es zu düster und bedrückend klingt.
Erfreulicherweise kommt dieser Mut zum Experimentieren seitens Tyler auch gut an. Dies ist nämlich sein erstes Album, welches die Nr.1 der Billboard Albumcharts erklimmt.
Für mich ist IGOR das bisher beste Album des Jahres und wird schwer zu übertreffen sein.
Text: Marius Tiemann