„Träume laut, weil du noch träumen kannst“ – Wenn Paderborn auf Picknickdecken tanzt
Paderborn Schloss-Neuhaus. Sonntagabend. 23 Grad. Auf der Wiese im Schlossauenpark breiten sich Picknickdecken aus, bis auf den letzten verfügbaren Meter. Endlich wieder Live-Musik erleben. Der Abend ist ausverkauft. Um viertel vor acht tritt der Vor-Act STANOVSKY auf die Bühne und eröffnet den Abend. Als avantgardistischer Popentwurf beschreibt der Künstler die Kombination seiner deutschen Texte mit Klavier, Gitarre und Schlagzeug. Er singt von Erinnerungen an frühe Sommerurlaube und thematisiert in seinem Song „Jogginghose“ den Lockdown der vergangenen Monate. Dankbar dafür, wieder vor Leuten zu stehen und mit Vorfreude auf den bevorstehenden Abend, verabschiedet sich die Vorband.
„Ich glaub immer noch dran“, hört man aus den Lautsprechern, Joris beginnt seinen Auftritt mit „Sturm & Drang“. Der Debut-Track seines neusten Albums „Willkommen Goodbye“ fängt die Stimmung einer aufwirbelnden Zeit ein. Mehrere Songs sind in den letzten anderthalb Jahren der Corona-Pandemie entstanden. Seinem Wesen entsprechend stellt Joris inmitten der Stimmungsvielfalt seiner Musik Glauben, Träumen und Mut an die Spitze – an den Anfang seines Albums und den Beginn des Konzerts. Es folgt „Du“, adressiert an das Leben selbst. „Und egal, wie du warst, ohne dich wär‘ ich nichts. Und egal, wie du bist, bleibst du das Größte für mich“. Die Band präsentiert üppige Sounds in voller Besetzung: Schlagzeug, Bass, Gitarre, Keyboard und Saxofon.
Joris begrüßt sein Publikum mit einer Schmeichelei an die Schönheit der Menschen in Ostwestfalen. Er ist selbst in der Region aufgewachsen und erzählt von seiner Kindheit und Jugend in Vlotho im Kreis Herford. Sein Lied „Glück auf“ ist an den deutschen Bergmannsgruß angelehnt und thematisiert Mitgefühl und Hoffnung inmitten schwerer, dunkler Stunden. Die Nähe zu seinem Herkunftsort lässt Joris persönlich werden. Er entschließt sich spontan dazu, „Home Again“ zu performen. Lachend stellt er nach der ersten Strophe fest, dass er das Lied gar nicht als Duett-Version mit Sängerin LOTTE vortragen kann. Paderborn erhält daraufhin eine exklusive Version mit der ursprünglichen zweiten Strophe des Sängers. Joris wechselt ans Klavier und spricht die letzten Monate an. Der Lockdown und die Zeiten der Ungewissheit seien für niemanden leicht gewesen. Dennoch bittet er darum, die Vergangenheit kurz auszublenden und im Moment zu sein. Das Klavier setzt ein und „Willkommen Goodbye“ erklingt. „Was, wenn das kein Ende ist? Sag, wie viel Willkommen steckt in Goodbye?“. Aus seinen Texten geht hervor, dass Joris viele Facetten des Lebens, glückliche und traurige, leichte und schwere, kennt. Seine Musik spricht sie alle an, die Pointe ist oft ähnlich: „Hinterm Ende fängt was Neues an“. Das Publikum ist bewegt davon, wie der Künstler es schafft, immer wieder die Stimmung zu wechseln. Es scheint zwischen seinen Zeilen zu stehen, dass man jeder Situation doch etwas Schönes abgewinnen kann. Mittlerweile stehen fast alle Menschen auf ihren Decken.
Die Band wechselt das Genre und Joris appelliert an die „brasilianischen Adern“ der ostwestfälischen Hörer*innen, um gemeinsam zu einer Reggae-Version seiner allerersten Single „Im Schneckenhaus“ die Hüften zu schwingen. Seine Band-Mitglieder erhalten kleine Solos und großen Applaus. Auch die folgenden Songs sind 2015 in seinem Debut-Album „Hoffnungslos Hoffnungsvoll“ erschienen und wecken bei langjährigen Fans Erinnerungen. Joris erzählt die tragische Geschichte hinter „Bis Ans Ende der Welt“ und wird dabei sehr privat. Er gesteht, wie ihn der plötzliche Tod eines geliebten Menschen tief getroffen hat und singt davon, wie er es schafft, irgendwann lächelnd an ihn erinnern zu können. Die Melancholie verblasst nach dem Song „Schnee“, die Band versammelt sich vor zwei Mikrofonen und präsentiert eine ganz akustische Version von „Untergang“; einer Hymne ans Verlieren, geplatzte Träume und „die bunte Seite der Nacht“. Die Partystimmung steigt, als auf der Bühne zwei Konfettibomben platzen. Das Publikum hüpft auf seinen Picknickdecken. Mit „DEM Rock n Roll Instrument“, der Ukulele, stellt Joris „Immer Noch Hier“ vor. „Hier und jetzt ist perfekt und wir rühr’n uns nicht vom Fleck“. Das Konzert lässt alle die Zeit vergessen, es bahnt sich ein Finale an, als Joris seinen Hit „Herz über Kopf“ spielt. Das gesamte Publikum singt mit.
„Ihr kennt mich, normalerweise würde ich euch jetzt bitten, nach links und rechts zu schauen und euch in die Arme zu nehmen.“
Das Großartige an Musik und Abenden wie jenen sei, dass ganz unterschiedliche Menschen so zusammenkommen können. Es gelingt dem Musiker, im Publikum auch mit sicherheitshalberem Mindestabstand ein Gefühl von Gemeinschaft zu stärken. Die Vielfalt ist groß, auf den Plätzen stehen Fans von Jung bis Alt, Familien und Freunde. Alle schließen die Augen und lauschen dem Moment. „Sommerregen“ erklingt. Es wird gelächelt, gelacht und getanzt. Joris wäre nicht Joris, wenn er die Glückstrunkenheit nicht aufgreifen würde, um für Nächstenliebe einzustehen. Er spricht die Flutkatastrophen, die sich Mitte Juli in Deutschland ereignet haben, an. Ganz ehrlich gesteht er, dass er nicht daran glaube, dass man Leid teilen könne. Aus der Vers-Idee „Kann nicht für dich fall’n, doch ich kann dich auffang’n“ entstand sein Song „Steine“. Joris bittet um Applaus für die Helfer*innen des Landes – die Feuerwehr, den Sanitätsdienst und die vielen Freiwilligen. Und singt im sanften Appell: „Du musst keine Angst haben, wenn es Hoffnung gibt. Du bist nicht alleine, weil dich jemand liebt.“ Mit diesem „vorerst letzten Song“ entlässt er die Konzertteilnehmer*innen. Großer Applaus und lautes Jubeln empfangen Joris Zugabe: „Signal“. Er hisst eine Regenbogen-Flagge als Zeichen der Solidarisierung mit der LGBTQ*-Bewegung. Zum Abschied sendet er Luftküsse in die Menge, auch die Flagge bekommt einen Kuss. In später Abenddämmerung schickt Joris sein Publikum mit „Nur die Musik“ nachhause.
„Die ganze Welt ist frisch verliebt, in meinem Kopf nur dieses Lied, nur die Musik.“
Text und Bilder: Emily Nass & Zara Akopyan