Götz Widmann ist ein Liedermacher-Urgestein. Angefangen mit Martin „Kleinti“ Simon als Duo „Joint Venture“ und seit Simons Tod im Jahr 2000 als Solokünstler unterwegs zählt er zu den Pionieren der neuen Liedermacher-Generation. Wir haben uns im Zuge seines Konzerts in der Kulturwerkstatt am 09.11. mit ihm getroffen und über allerlei Themen gequatscht.
L’UniCo: Moin Götz, schön, dass das Interview zustande gekommen ist. Du bist, habe ich gerade am Rande mitgekriegt, ja nicht das erste Mal hier in Paderborn?
Götz Widmann: In Paderborn hab ich noch nicht gespielt, nur hier in der Nähe bei so einem Hippie-Festival, wo alle völlig druff waren. Aber das war noch in den Neunzigern, 97 oder so.
Auf deiner Seite schreibst du: „Ich muss zugeben, dass ich es bei der aktuellen Weltlage gar nicht so leicht finde, den Dingen ihre lustige Seite abzugewinnen.“ Ist es wirklich so schlimm oder ist das doch ein bisschen zugespitzt?
Ich finde es wirklich gerade relativ hart, weil so viele verschiedene Seiten so unglaublich unangenehm sind, das alles in kompletter Offenheit austragen und sich keiner mehr für irgendwas schämt.
Du sprichst von verschiedenen Seiten. Also hast du nicht nur ein klares Feindbild, sondern es geht dir mehr um den generellen Umgang miteinander?
Nein, es gibt unglaublich viele Idioten auf der Welt und die sind alle gar nicht so aus einer Richtung. Aber so wie sich der Westen halt auch im Moment aufführt, ist es sehr schlimm. Früher fand das mit mehr Anstand statt. Der Westen war schon immer kapitalistisch und relativ rücksichtslos dabei, aber früher hat man es noch mit ein bisschen Menschlichkeit maskiert und mittlerweile ist es sowas von unverhohlen und offen und gierig geworden, dass ich wirklich Angst bekommen. Ich finde auch tatsächlich, dass die Stabilität unserer Demokratie ganz schön bedroht ist hier in Deutschland.
So weit würdest du schon gehen?
Ja klar. Weil: Welche Mehrheiten gibt es noch? Es gibt ja, wenn man sich unsere aktuelle politische Situation anguckt, nur noch seltsame Koalitionen, die eigentlich gar nicht zusammenpassen. Zwangsläufig müssen jetzt irgendwelche Parteien miteinander koalieren, um überhaupt noch eine Mehrheit zu bilden, die überhaupt nicht miteinander können. Die Demokratie ist ein bisschen am Stolpern gerade.
Bezüglich Pegida sagtest du vor einiger Zeit in einem Interview: „Menschen, die genug Liebe bekommen, sehen anders aus.“ Ist es nur das? Oder gibt es vielleicht wirklich Gründe, durch die diese Bewegungen legitimiert sind?
Das sind halt Idioten. Diese ganzen Leute, die jetzt die AfD wählen, die kapieren nicht mehr, wer ihre eigentlichen Feinde sind. Das sind meistens Leute, die von der Gesellschaft erwarten, dass sie etwas für sie tut, was sie eigentlich für sich selber tun müssten.
Die müssten ihr eigenes Leben selber korrigieren, erwarten aber von der Gesellschaft, dass sie das tut, und da die Gesellschaft es niemals für sie tun wird…
Suchen sie das Feindbild woanders?
Suchen sie die Schwächsten raus und gehen auf die drauf. Eigentlich sind deren Probleme doch nicht die ganzen Arbeitslosen im Osten, deren Probleme sind nicht die Einwanderer. Deren Problem ist erstens die katastrophale Bildungspolitik, die sie mit null Skills ausstattet, und zweitens die Tatsache, dass solche Jobs von Leuten, die keine Ausbildung haben, mittlerweile Maschinen machen. Deren Feind sollten die Roboter sein und die großkapitalistischen Unternehmen, die alles automatisieren. Aber die denken, dass die paar Ausländer, die da kommen und in irgendwelchen Asylantenheim vor sich hin vegetieren, ihnen irgendwelche Arbeitsplätze wegnehmen. Ist doch totaler Quatsch, die dürfen ja nicht mal arbeiten.
Ich persönlich bin echt überzeugter Europäer und eigentlich auch Kosmopolit und finde, dass die Welt sich eher öffnen sollte. Und diese ganze Entwicklung, die gerade stattfindet, dass sich alle wieder auf das Nationale beziehen, ich finde das so furchtbar. Wir sollten eigentlich eher mal ein, zwei Schritte weitergehen und Europa mal so vervollkommnen.
Diese Spaltung passiert ja auch überall, egal in welche Himmelsrichtung man guckt.
Überall. Auch in Spanien, wo sich jetzt einzelne Teile abspalten wollen.
Vor zehn Jahren habe ich gedacht, dass wir heute kurz vor dem vereinten Europa stehen würden. Und jetzt stehen wir vor einem Trümmerhaufen und es ist überall so eine nationale Gier und primitiver Egoismus, der in kleinen Strukturen denkt nicht über seinen eigenen Tellerrand hinausblicken kann.
Da sind wir ja gleich mal mit einem leichten Thema ins Gespräch eingestiegen.
Das ist es vielleicht gerade aber auch, was einem wirklich am Herzen liegt, weil es einem zu schaffen macht.
Wobei man beim Gespräch mit Menschen aus anderen Ländern nicht so direkt damit konfrontiert wird.
Naja, wenn du durch Zittau läufst und guckst du die Leute an, dann denkst du auch nicht, dass jeder zweite Mann da AfD gewählt hat. Die sehen ganz normal aus, das ist ja das schlimme.
Lass uns doch mal ein bisschen zu deiner Musik kommen. Man sagt ja oft, dass Musiker im Alter ruhiger und reflektierter werden oder ihren Stil ändern. Bei dir hat man das Gefühl nicht. Würdest du bestimmte Songs nicht mehr schreiben, wie du sie früher geschrieben hast, oder hat sich bei dir einfach nicht viel geändert?
Wenn ich jetzt so zurückblicke, ich habe ja über 200 Songs geschrieben, da gibt es jetzt vielleicht drei oder vier bei denen ich mir denke: „Okay, hätte ich mir auch sparen können.“ Ich bin jetzt aber nicht so dumm zu verraten welche, nachher ist es noch irgendjemandes Lieblingslied und ich versau es ihm. Insgesamt habe ich aber ein ziemlich gutes Verhältnis zu meinen alten Songs. Ich habe ja erst relativ spät angefangen.
Meine ersten Songs, die ich heute noch spiele, habe ich mit Ende 20 geschrieben. Da haben andere Leute, die ich kenne, schon vier oder fünf CDs rausgebracht.
In Pressetexten liest man auch immer wieder Dinge wie „Hat mit 15 angefangen, Songs zu schreiben.“
Ich nicht, ich bin Späteinsteiger. Ich habe meine besten Jahre mit einem BWL-Studium verschwendet. Insgesamt kann ich jetzt mit allen Songs sehr gut leben und habe das Gefühl, es hat alles auf einem Niveau stattgefunden. Es wird nicht entscheidend besser und nicht entscheidend schlechter. Es gibt ein paar Themen, über die habe ich schon sehr viel gesagt. Zum Thema Kiffen fällt mir jetzt nicht unbedingt jede Woche noch etwas Neues ein.
Wie ist es denn beim Schreiben deiner Texte. Man hat ja in den letzten Jahren eine gesellschaftliche Sensibilisierung für bestimmte Themen feststellen können. Dazu zählt auch dieser Begriff des politisch korrekten, der von verschiedenen Seiten aufgegriffen wird. Und auch auf deinem neuesten Album sind ja wieder Songs, die extrem provokant sind und sowohl in Sachen Thema als auch Wortwahl anecken. Denkst du eigentlich dreimal drüber nach, was du schreibst und ob sich Leute dadurch angegriffen fühlen könnten, oder ist dir das egal?
Ich denke schon drüber nach, was ich sage. Ich mag es nicht, Schwächeren in die Fresse zu hauen, das ist unsportlich. Und da ich meine Songs meistens in der Nacht in gewissen Rauschzuständen schreibe ist das schon ganz gut, wenn ich es mir dann ein paar Tage später noch mal nüchtern angucke.
Aber wenn man sich immer politisch korrekt verhalten wollen würde, dann könnte man sich eigentlich direkt ins Bett legen, die Decke über Kopf ziehen und das Maul halten. Wenn du absolut niemanden vor den Kopf stoßen willst, dann kannst du eigentlich keine lustigen Lieder schreiben. Wenn man sich auf dem neuen Album den Song „Latina“ anguckt, der hat sogar Provokationspotential gegen links und gegen rechts. Und ich habe auch aus beiden Richtungen schon irgendwie ein bisschen Druck gespürt, auch wenn ich gedacht hätte, dass der Shitstorm größer wird.
Ist das für dich auch die Funktion von Musik, dass man so ein bisschen provoziert und vielleicht Dinge anspricht, die man sonst nicht ansprechen würde?
Meine Songs sind schon immer so gewesen, dass sie Leute mit starren Denkstrukturen dann auch mal aus der Reserve locken wollen. Als wir angefangen haben war ja noch Kohl an der Macht, da war das Feindbild ziemlich klar definiert. Aber mittlerweile finde ich, dass es auch auf der linken Seite unglaubliche Spießer gibt. Leute, die sich unfassbare Denkverbote auferlegen, was meiner Meinung nach gefährlich ist und die Gefahr, dass rechte Parteien sich etablieren, eher verstärkt als verhindert. Da nehme ich dann auch nicht allzu viel Rücksicht.
Aber du hattest noch nie größeren Ärger oder Anzeigen wegen irgendwelcher Text am Hals?
Ach Gott, man wird mal irgendwie angefeindet von einzelnen Personen oder so. Aber ansonsten hab ich da bis jetzt Glück gehabt. Wahrscheinlich bin ich auch zu unwichtig. Vieles von mir findet unter dem Radar statt.
Bei einem Interview mit dir kommt man kaum drumherum, über Kleinti zu sprechen. Ich finde schon, dass es einen hörbaren Bruch gab von euren gemeinsamen Songs zu deinen Solo-Sachen. Hattest du jemals das Gefühl, dass es dir schwerer gefallen ist, Songs zu schreiben oder dass Finesse verloren gegangen ist?
Kleinti war einfach ein ausgesprochen fantastischer Komponist. Auch, wenn wir am Anfang alles zusammen gemacht haben, war ich in späterer Joint-Venture-Zeit schon derjenige, der zumindest das Grundgerüst der Texte geschrieben hat. Aber die Hälfte der Melodien kamen von ihm. Songs, bei denen ich allein nicht weiterkam, habe ich ihm gegeben und ein paar Tage später kam er mit etwas Genialem zurück. Natürlich fehlt es. Ich denke, ich bin da einfach ein bisschen einfacher, man kann auch sagen fauler, beim Songs schreiben. In den letzten Jahren ist das ein bisschen anders geworden, weil ich das Studio als kreativen Ort entdeckt habe und angefangen habe, mehr mit Band zu arbeiten. Dadurch ist die Musik wieder ein bisschen interessanter geworden.
Aber es immer noch so, dass ich, sagen wir mal mindestens 90 Prozent des Aufwands für die Texte verwende. Und wenn die Texte fertig sind, dann schreibt sich die Musik meistens von selbst. Dann fahr ich zwei Wochen irgendwo hin mit meiner Gitarre, mache das Telefon aus und dann kommen schon Songs für ein Album rum.
Du bis jetzt wieder mal auf den Bühnen des Landes unterwegs und hast deine „Zeitreise“-Tour vorgezogen, bei dem sich das Publikum Songs wünschen darf, die du dann spielst. Kannst du einen Trend erkennen?
Ich habe so paar Experimente gemacht. Eine Balladen-Tour, zwei Touren mit Band, habe auch versucht, viele neue Songs zu spielen und merke jetzt aber, dass die Leute echt oft wegen den alten Songs kommen und viel Spaß daran haben.
Und das ist ja auch irgendwie okay, wenn ich zu einem Konzert gehe, dann freue ich mich auch tierisch, wenn Songs kommen, die ich schon seit 25 Jahren höre.
Also stört es dich nicht?
Ich finde es gut und normal, zum Glück will das Publikum auch die neuen Songs hören. Aber ich schreib auch viel zu gerne Songs, um immer alte Lieder zu spielen.
Am Schreibtisch sitzen und einen neuen Text ausbrüten ist für mich das Allerschönste an meinen Job.
Gibt es denn Songs, die alle hören wollen, die du aber nicht spielen willst?
Ich hatte eine Zeitlang mit „Eduard“ Probleme. Aber das hat sich dann wieder erledigt, weil ich das einmal einer behinderten Großtante meiner damaligen Frau vorgespielt habe, weil das das Lieblingslied von meiner damaligen Schwiegermutter war. Und dann hat sich diese behinderte Großtante so über dieses Lied kaputt gelacht, dass ich auf einmal wieder Lust darauf bekommen habe. Jetzt muss ich immer an die denken, wenn ich das Lied spiele, seitdem ist es wieder voll okay.
Aber das gibt’s schon so, dass einem Songs, die man schon über tausend Mal gespielt hat, aus dem Hals raushängen. Die spielt man dann mal ein halbes Jahr nicht und dann werden wir wieder Freunde.
Gibt es denn auf der anderen Seite Songs, die du mehr als Filler geschrieben hast, die sich dann aber zum Publikums-Hit entwickelt haben?
Ich war bei „Heute mach ich einen drauf“ sehr überrascht, weil er ja doch recht eindimensional ist. Als ich ihn geschrieben habe, hab ich mir gedacht: „Naja, ist das nicht ein bisschen dünn?“ Und das ist jetzt wirklich der größte Hit der letzten Jahre geworden. Ich habe auf dem „Krieg & Frieden“-Album ein paar andere Songs stärker gesehen. Aber das ist ja auch cool, wenn man das alles vorprogrammieren könnte, wäre es so langweilig. Deswegen sitzt man auch immer, wenn man neue Songs hat, sehr nervös vor dem Publikum und deswegen spielt man die auch am liebsten. Man will wissen: Muss ich noch was ändern? Welche Zeile funktioniert noch nicht so gut?
Mittlerweile bist du 25 Jahre als Liedermacher unterwegs und bestreitest auch deinen Lebensunterhalt davon. Man hört von vielen populären Musikern, dass es schwer ist, sein Leben von der Musik zu finanzieren. Du schaffst es, trotz Dasein in einem Nischensegment, trotzdem. Gehst du nachts Kupferkabel klauen oder was ist dein Erfolgsrezept?
Das liegt an der Fanbase. Ich habe sehr treue Fans, die immer wieder zu den Konzerten kommen. Und dann habe ich einfach den unglaublichen Vorteil, dass ich allein unterwegs bin. Da kann man schon mit vergleichsweise wenig Zuschauern auf ein Niveau kommen, wo man ganz gut davon leben kann.
Kaufen diese Fans dann auch entsprechend viele CDs?
Das ist schon okay, ich kann nicht klagen. Der CD-Umsatz war früher besser, keine Frage. Aber das geht ja allen so. Man muss dann eben von seinen Konzerten leben.
Theoretisch gäbe es ja auch noch Spotify…
Meine Musik ist ja bei Spotify. Und da gibts auch ab und zu mal eine Überweisung aber im Vergleich zu dem, was früher vom Vertrieb jeden Monat gekommen ist bei den CDs… Da kommt einmal im halben Jahr eine Summe, die früher im Monat kam.
Es gibt ja auch eine Art „Spotify-Formel“. Popmusik hat sich ja sehr verändert durchs Streaming, von Songwriting über Sound. Deine Musik passt in dieses Konzept eher nicht rein. Und gerade viele junge Hörer hören nur noch über Spotify. Hast du Probleme damit, dass kaum junge Hörer nachkommen?
Überhaupt nicht. Ich finde eher, dass die älteren mal wieder ihren Arsch vom Sofa bekommen könnten. Ich habe ein unfassbar junges Publikum. Ich glaube, an mehr als der Hälfte der Abende bin ich der Älteste im Saal. Das ist vor allem lustig, wenn ich mich da mit anderen Liedermachern vergleiche. Wenn ich zu Hannes Wader oder Konstantin Wecker gehe, bin ich im Publikum einer der jüngsten fünf Prozent. Eine ganz andere Klientel.
Du hast eben schon angedeutet, dass du Spaß an der Studioarbeit gefunden hast. Man hört das auch sehr deutlich, es gibt auf „Sittenstrolch“, deinem neuesten Album, viel ausgeprägtere Produktionen. Ist dir das immergleiche Gitarrengeschrammel mit Text drüber langweilig geworden?
Ich finde, das Produzieren hat einen Zauber. Ich habe den Platz dazu gehabt, weil ich fünf Jahre in der Schweiz in einem alten Bauernhaus gewohnt habe. Da konnte ich auch Leute unterbringen, die mich besucht und bei mir aufgenommen haben. Da hab ich mir dann immer mehr Equipment zugelegt. Immer, wenn eine Tour gut gelaufen ist, habe ich mir ein Mikro gekauft oder sowas. Dann hatte man auf einmal die Möglichkeiten und dann war es nur noch der letzte Schritt, das Mischen zu lernen.
Was ja auch nicht ganz einfach ist…
Am Anfang hat man schon gehört, dass ich das noch nicht so richtig kann, das ist dann aber nach und nach deutlich besser geworden. Man muss ja auch seine Ohren entwickeln.
Aber ich hab das immer wieder gemacht und wenn jetzt Leute kommen, die nicht so ein großes Budget haben, dann kann ich auch mal ein Album produzieren und mischen. „Sittenstrolch“ war dann auch das erste Mal, wo ich mich getraut habe, so etwas komplexes wie mein eigenes Album selber zu mischen.
Ein Interview mit dir kommt nicht ohne das Thema Cannabis aus. Kanada hat dieses kürzlich legalisiert. Deshalb meine Abschlussfrage: Wie lange dauert es hier noch?
Ich persönlich sehe das ja gerade nicht so optimistisch, weil ich einfach unsere politische Situation so verfahren finde. Das Beste, was jetzt gerade der Cannabis-Legalisierung in Deutschland passieren könnte, wäre, unter den realistischen Optionen die es gibt, wahrscheinlich eine Jamaika-Koalition, weil die FDP und die Grünen zumindest auf dem Papier sagen, dass sie Cannabis legalisieren wollen. Aber die Grünen haben das schon immer behauptet und als es damals die rot-grüne Regierung gab, hat kein einziger Grüner irgendwann das Maul aufgemacht. Vielleicht sind sie mittlerweile da ein bisschen mutiger. Ich glaube aber auch, dass das ein Thema ist, vor dem die Politiker Angst haben.
Angst, Wählerstimmen zu verlieren?
Sie fassen es lieber nicht an. Das ist etwas, wo man auch mal einen eigenen Wähler verprellen könnte, weil er nicht deiner Meinung ist. Wenn wir jetzt eine Volksabstimmung zu dem Thema machen würden, würde diese wahrscheinlich so 40% zu 60% dagegen ausgehen wie ich das einschätze.
In der Schweiz war es ja auch gerade so ähnlich. Die Schweiz hat eigentlich eine viel liberalere Cannabis-Politik und da ist jetzt die letzte Abstimmung auch gegen eine Cannabis-Legalisierung ausgegangen.
Wäre es denn eine Überlegung, es so wie Portugal zu machen und zu entkriminalisieren statt es zu legalisieren?
Ich bin für eine vollständige Legalisierung von Cannabis. Ich war gerade in Kalifornien, einfach göttlich. Du hast eine super Qualität, du hast aber auch eine Qualitätskontrolle. Das wird in lizenzierten Läden verkauft, das heißt, so jemand achtet auch darauf, dass der keinen Müll verkauft, weil er sonst seine Lizenz gefährdet. Das schafft große Steuereinnahmen, schafft Arbeitsplätze und in Kalifornien sitzen die erfolgreichsten und kreativsten Unternehmen der Welt.
Auf jeden Fall ist es nicht so, dass durch eine Cannabislegalisierung die Weltrevolution ausbricht oder die öffentliche Ordnung zusammenbricht.
Oder alle anfangen, Heroin zu nehmen…
Oder alle anfangen, Heroin zu nehmen, also wirklich nicht. Aber es ist schlimm, was die aktuelle Drogenbeauftragte gerade wieder für einen Schwachsinn von sich gibt.
„Es ist verboten, weil es verboten ist.“
Ja, genau. Kalifornien hat mir schon gezeigt, wie es sein kann, und dann ist man hierzulande schon sehr frustriert. Ich war gerade in Spanien und habe gerade einen Artikel über Cannabis Social Clubs geschrieben, das ist auch ein sehr interessantes Modell. Die können dann wenigstens innerhalb ihres Clubs einigermaßen frei damit umgehen, solange das nicht irgendwie über die Straße verkauft wird, sondern nur an Mitglieder. Und das nimmt extrem viel Verfolgungsdruck von den Leuten, die einfach mal nach Feierabend einen Joint rauchen wollen. Die gehen dahin und holen sich ihr Zeug. Da wird die Qualität auch kontrolliert, die Leute erzeugen ihr Gras selber und tauschen es untereinander. Die sitzen dann auch zusammen und unterhalten sich. Das ist da mehr so halblegal, es wird halt geduldet. So etwas kann man sich in Deutschland natürlich nicht vorstellen, dass legale Grauzonen allzu lange existieren, da muss sofort irgendjemand reinhauen.
Wobei hier ja theoretisch auch eine gewisse Maximalmenge in der Regel nicht verfolgt wird. Dennoch gibt es dann eine Menge bürokratischen Stress.
Ja, aber es ist trotzdem irgendwie relativ cool. Letztlich kann man damit jedoch nicht zufrieden sein. Warum wird es in Ländern wie den Uruguay, USA und Kanada, jetzt wahrscheinlich auch in Mexiko, legalisiert und alles läuft ganz normal weiter seinen Gang, außer dass ein paar Leute nicht mehr die ganze Zeit Angst vor Verfolgung haben müssten, sondern das, was sie sowieso machen, einfach mal in Frieden machen können.
Das Interview führte Nicolas Blum